18.09.18 09:05
„Der Griff in die vermeintliche Trickkiste wird Viktor Orbán nicht helfen“, sagt der SPD-Abgeordnete Jo LEINEN, Sprecher der europäischen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments, der auch für die Auslegung der Geschäftsordnung zuständig ist. Die ungarische Regierung hat am Montag, 17. September 2018, angekündigt, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen den Beschluss des Europäischen Parlaments zur Eröffnung eines Rechtstaatlichkeitsverfahrens zu klagen. In der vergangenen Woche hatte sich eine deutliche Zweidrittelmehrheit der Europaabgeordneten dafür ausgesprochen, ein Strafverfahren gegen Ungarn einzuleiten, das zu empfindlichen Sanktionen führen kann. Die ungarische Regierung führt Verfahrensfehler ins Feld. „Orbán will nicht wahrhaben, dass das Europäische Parlament seine andauernden Verletzungen der europäischen Werte nicht mehr hinnimmt. Dass er sich jetzt auf angebliche Verfahrensfehler beruft, ist ein Zeichen der Hilflosigkeit.“
„Die ungarische Regierung sollte das eindeutige Votum des Europäischen Parlaments zum Anlass nehmen, einen Kurswechsel zu vollziehen und den Umbau Ungarns zu einem autoritären Staat und einer illiberalen Demokratie zu stoppen. Die Freiheit der Zivilgesellschaft, der Medien und der Wissenschaft ist eine Grundbedingung für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union und muss auch in Ungarn gewährleistet sein“, so Jo LEINEN. „Es ist inakzeptabel, dass Viktor Orbán europäische Steuergelder zur Alimentation seiner Familie und seines Umfelds missbraucht.“
„Der Einwand der ungarischen Regierung, dass Enthaltungen bei der Berechnung der Zweidrittelmehrheit einbezogen werden müssen, ist an den Haaren herbeigezogen. Abgeordnete, die sich enthalten, geben lediglich zu Protokoll, dass sie nicht abstimmen möchten. Dies ist in der Geschäftsordnung eindeutig geregelt und im Europäischen Parlament seit jeher Praxis“, sagt Jo LEINEN. „Eine absolute Mehrheit der im Parlament vertretenen Abgeordneten und mehr als zwei Drittel der an der Abstimmung teilnehmenden Volksvertreter haben für die Eröffnung des Verfahrens gestimmt. Der Beschluss ist rechtmäßig.“
Enttäuscht zeigt sich Jo LEINEN über die Europäische Volkspartei (EVP). „Obwohl ein großer Teil der EVP-Abgeordneten im Europäischen Parlament für das Strafverfahren gegen Ungarn gestimmt hat, tolerieren die Konservativen Orbáns Fidesz-Partei weiterhin in den eigenen Reihen. Die Zusammenarbeit mit Antidemokraten sollte für alle pro-europäischen Kräfte ein Tabu sein, auch wenn dies Einfluss kostet und nicht in Manfred Webers Kalkül passt, Kommissionspräsident zu werden.“