05.12.18 10:24
„Der Artikel 50 des EU-Vertrages dient nicht dazu, einem Mitgliedstaat zu erlauben, die Europäische Union in Geiselhaft zu nehmen. Die Einschätzung des EuGH-Generalanwalts ist fehlgeleitet. Ich hoffe, die Richterinnen und Richter kommen in ihrem Urteil zu einer anderen Einschätzung und lassen sich nicht von der schwierigen innenpolitischen Lage im Vereinigten Königreich beeinflussen“, kritisiert Jo LEINEN, Sprecher der Sozialdemokraten im Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments, das am Dienstag
veröffentlichte Gutachten des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona. Dieser kommt zu der Einschätzung, dass ein EU-Mitgliedstaat die Austrittserklärung bis zum Abschluss eines Austrittsvertrages
jederzeit einseitig zurückziehen kann.
„Durch ein einseitiges Rücktrittsrecht hätte der austretenden Mitgliedstaat ein unverhältnismäßig großes Drohpotential gegenüber der Europäischen Union. Weder die Zweijahresfrist für die Verhandlungen, noch die Möglichkeit, diese Frist durch einen einstimmigen Beschluss aller EU-Staaten zu verlängern, ergeben Sinn, wenn ein Mitgliedstaat den Austrittsprozess auch gegen den Willen der anderen EU-Mitglieder jederzeit stoppen und von neuem beginnen kann. Eine derartige Auslegung von Artikel 50 ist sicher nicht im Sinne der Erfinder“, sagt der SPD-Europaabgeordnete Jo LEINEN, der als Mitglied des
Verfassungskonvents den Lissabon-Vertrag mit ausgearbeitet hat. Auch der Verweis auf das Wiener Vertragsrecht von 1969 sei nicht überzeugend. Wenn ein Vertrag spezielle Vorgaben über die Kündigung enthält, wie es im EU-Vertrag mit Artikel 50 der Fall ist, findet die Wiener Vertragsrechtskonvention keine Anwendung.